Seit mehreren Wochen erleben wir wegen der COVID-19 Pandemie außergewöhnliche Zeiten. Auch wenn diese oft als freiheitseinschränkend beurteilt werden, erlassen Regierungen jeden Tag neue Maßnahmen, um die Pandemie einzudämmen und um die Infektionskurve zu glätten. In diesem Zusammenhang möchten wir sie auf die Situation in der Türkei wegen der Pandemie gefährdeten Häftlinge und Verurteilten in den Strafvollzugsanstalten und auf die vorgesehene Strafvollstreckungsgesetz Reform.
Die UN Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet hat in ihrem Statement bezüglich der Epidemie[1] vor allem auf die überfüllten Haftanstalten in vielen Ländern und auf die extremen unhygienischen Bedingungen aufmerksam gemacht. Leider fällt die Türkei auch unter dieser Kategorie.
Laut Statistiken befinden sich 294.000 Menschen in türkischen Justiz Vollstreckungsanstalten[2] und rund 150.000 Beamten arbeiten in diesen Einrichtungen, wobei die Kapazität für Häftlinge um knapp 100.000 überschritten ist (Stand 31.01.2020). Den Gefängniseinrichtungen mangelt es an angemessenen Isolations-, Hygiene-, Ernährungs- und Behandlungsmöglichkeiten[3]. Diese Situation stellt eine ernsthafte Bedrohung für das Recht auf Leben aller Gefangenen dar, zu deren Schutz der Staat verfassungsrechtlich sowohl auch durch internationale Abkommen verpflichtet ist.
In einer Situation, in der Gefangene freigelassen werden müssen, um das Grundrecht auf Leben zu wahren; wird eine Regelung, die Intellektuelle, Politiker, Künstler und Menschenrechtsverteidiger, also in türkischen Verhältnissen wegen „Terrorismus“ inhaftiert sind, hinter Gitter zu lassen; zu weiteren tiefen Wunden und Spaltungen der türkischen Gesellschaft führen.
Mehrere internationale Organisationen haben davor gewarnt, dass die Inhaftierung von diesen Zehntausenden durch ,,terroristische“ Beschuldigungen[4], eindeutig gegen die Grundsätze von jeglichem Recht verstoßen. Zehntausende, die nie an Gewalt beteiligt waren oder diese förderten, wurden beschuldigt, terroristische Organisationen geführt, Mitglied oder Unterstützer terroristischer Organisationen gewesen zu sein. Zehntausende, die nichts mit den kriminalisierten Handlungen zu tun hatten, wurden beschuldigt und strafrechtlich verfolgt, einfach aufgrund ihrer Ansichten, unter völliger Missachtung der Individualität der strafrechtlichen Verantwortlichkeit. Um dieser Rechtswidrigkeit ein Ende zu setzen, sollte die Antiterrorgesetzgebung von Unklarheiten befreit werden, um alle Personen, die nicht an Gewalttaten beteiligt waren, vor terroristischen Anklagen zu schützen.
Jeder hat ohne Ausnahme das Recht auf lebensrettende Maßnahmen, und diese Verantwortung liegt bei den Regierungen. In erster Linie sollten alle Kranken, älteren Menschen, Frauen und Kleinkinder dringend freigelassen werden. Und das Justizreformpaket sowie das Gesetz zur Vollstreckung von Strafen, das voraussichtlich in den kommenden Tagen auf die Tagesordnung des türkischen Parlaments steht, sollten im Einklang mit dem verfassungsmäßigen Grundsatz der Gleichheit gestaltet werden.
In dieser Hinsicht unterstützen wir als HRD e.V. die Petition von dem HDP Abgeordneten Ömer Faruk Gergerliogu die er über Change.org initiiert hat hoffen dass auch sie uns dabei unterstützen.
HUMAN RIGHTS DEFENDERS e.V. (Germany)
[1] https://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=25745&LangID=E
[2] https://tihv.org.tr/covid-19-salgini-ve-hapishanelerde-acilen-alinmasi-gereken-onlemler/
[3] http://bianet.org/english/human-rights/222019-prisoners-are-vulnerable-to-covid-19
[4] https://www.hrw.org/news/2020/03/23/turkey-should-protect-all-prisoners-pandemic