TAG DER MENSCHENRECHTE – 10.12.2020
Am 10. Dezember jährt sich zum 72. Mal die Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen. An diesem Tag, der als Tag der Menschenrechte gefeiert wird, möchten wir Ihre Aufmerksamkeit auf die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen in der Türkei erregen.
Wir möchten vor allem auf 9 Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) verweisen, die als Meilenstein dienen und die Grundrechte und Freiheiten aller Völker und Nationen festlegen, die in der Türkei systematisch ignoriert und durch politisierte Gerichtsurteile, Verwaltungsentscheidungen und politische Praktiken verletzt werden.
Artikel 3 – Recht auf Leben und Freiheit
In der Türkei wurden in den letzten 5 Jahren mehr als 30 Menschen durch die Hand von staatlichen Agenten entführt, rechtswidrig inhaftiert und gefoltert. Die Türkei weigert sich immer noch, das Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen zu unterschreiben.
Artikel 5 – Verbot der Folter
In der Türkei sind Folterfälle keine Ausnahme. In den Polizeistationen und Haftanstalten in Ankara, Istanbul, Bartin, Mersin, Diyarbakir, Mardin und Urfa wurden seit 2016 mehr als 7139 Folterfälle gemeldet.
Artikel 9 – Schutz vor Verhaftung und Ausweisung
Obwohl Artikel 9 der AEMR den Schutz vor Verhaftung und Ausweisung sicherstellt, sträubt sich die türkische Justiz und Regierung dagegen, die Rechtserklärungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu implementieren und politische Häftlinge wie Osman Kavala oder Selahattin Demirtas freizusprechen.
Artikel 10 – Anspruch auf faires Gerichtsverfahren
Artikel 10 der AEMR sieht vor, dass jeder, der einer strafrechtlichen Anklage ausgesetzt ist, uneingeschränkt berechtigt ist, einen fairen Prozess vor einem unparteiischen Gericht zu bekommen. Die Realität in der Türkei sieht anders aus. Die Menschenrechtskommissarin des Europarates Dunja Mijatović schreibt hierzu: „…die bestehende Tendenz der türkischen Justiz, den Schutz des Staates über den der Menschenrechte zu stellen, ist erheblich verstärkt, und Strafverfahren scheinen häufig auf eine bloße Formalität reduziert zu werden, insbesondere in Fällen im Zusammenhang mit Terrorismus. In unzähligen anderen Fällen wird die Justiz buchstäblich umgangen, selbst bei Maßnahmen, die die grundlegenden Menschenrechte des Einzelnen ernsthaft beeinträchtigen, wie z. B. bestimmte Reisebeschränkungen oder das Recht, als Anwalt zu praktizieren“.
Artikel 12 – Freiheitssphäre des Einzelnen
Artikel 12 der Erklärung verbietet willkürliche Eingriffe in die Privatsphäre und die Korrespondenz. Der Ehrenvorsitzende von Amnesty International Türkei, Taner Kılıç, wurde jedoch wie Tausende andere für mehrere Jahre mit einer Haftstrafe verurteilt, weil er eine einfache Messaging-App auf seinem Handy installierte.
Artikel 17 – Recht auf Eigentum
Obwohl Artikel 17 der Erklärung besagt, dass jeder das Recht auf Eigentum hat, hat die türkische Regierung während des Ausnahmezustandes (2016-2018) willkürlich Vermögenswerte im Wert von 32.24 Milliarden US-Dollar beschlagnahmt.
Artikel 18 – Gedanken-, Gewissens-, Religionsfreiheit
Artikel 18 der Erklärung garantiert jedem das Recht auf Religionsfreiheit. Trotzdem werden Aleviten in der Türkei weiterhin diskriminiert. Der sunnitisch geprägte Religionsunterricht ist immer noch als Pflichtunterricht im türkischen Curriculum. Christliche Minderheiten müssen auch mit Unterdrückungen und Diskriminierungen rechnen. Der Drang von Präsident Erdoğan, Gebäude – einschließlich historischer Kirchen und Krankenhäuser – in Moscheen und islamische Bildungszentren umzuwandeln, um seine konservative Unterstützungsbasis anzusprechen, sind eklatante Beispiele.
Artikel 19 – Meinungs- und Informationsfreiheit
Seit 2016 gehen Regierung und Justiz härter denn je gegen kritische Journalist*innen vor. Dutzende wurden aufgrund ihrer Berichterstattung zu teils langjähriger Haft verurteilt, viele warten seit Jahren auf ihre Urteile oder wehren sich in Berufungsinstanzen gegen Haftstrafen. Andere sind ins Ausland geflohen. Ausländische Korrespondent*innen warten mitunter monatelang auf die Verlängerung ihrer Akkreditierungen. Laut „Reporter Ohne Grenzen“ ist die Türkei auf Platz 154 von 180 in der Pressefreiheit.
Artikel 21 – Allgemeines und gleiches Wahlrecht
Artikel 21 der Erklärung sieht das Recht vor, an der Regierung und am politischen Leben auf lokaler sowie Landesebene teilzunehmen. Leider sind in der Türkei, überwiegend in den kurdischen Regionen, dutzende gewählte Bürgermeister ohne wesentliche Beweise aus dem Amt verdrängt worden.
„Rechtsstaatlichkeit“ ist die einzige Hoffnung für die Türkei, in der das Erdogan-Regime leider einen Diskurs mit Hass-Sprache und Diskriminierung weiterführt und auf die gezielte Spaltung der Gesellschaft setzt.
Als Mitglieder der “Human Rights Defenders” verurteilen wir Präsident Erdogan und seine Handlanger auf das Schärfste und fordern das Erdogan-Regime und die türkische Justiz dazu auf die Rechtsstaatlichkeit wieder einzuführen.
Wir appellieren heute auch an die UN, dem Europarat und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sich mit den Menschenrechtsverletzungen in der Türkei zu beschäftigen und eine Lösung zu finden.
Wir verfolgen mit Bedenken und bedauern es zutiefst, dass manche europäische Staats- und Regierungschefs eine Appeasement Politik gegen über der türkischen Regierung verfolgen, Zugeständnisse von ihren demokratischen und rechtsstaatlichen Werten machen. Wir erhoffen uns von der EU und der Bundesregierung eine effektivere Initiative zu ergreifen, um der Türkei dabei zu helfen so schnell wie möglich und nachhaltig auf den Weg der Rechtsstaatlichkeit zu kommen.